Schriftenreihe Ayurveda

28 June 2006

Der grosse Ayurveda Schwindel

Hans Müller
kkkkk
Bei den alternativen Heilmethoden und im Well­nessbereich ist Ayurveda in. Wie Pilze schie­ssen immer mehr sogenannte Ayurveda Centers aus dem Boden und bieten Ayurvedabe­handlungen an. In den meisten Fällen allerdings ohne eine Ahnung da­von zu haben, was Ayur­veda überhaupt ist; Hauptsache, es ist ein neues Reizwort auf dem Gebiet der Gesund­heit. Man muss ja hin und wieder etwas Neues bringen, damit die Kasse klingelt und mit der Gesundheit lassen sich von jeher immer gute Geschäfte machen. Die Marketingleute wollen ihr ein­trägliches Stück vom neuen Kuchen natürlich auch ab­schneiden und so erfinden sie immer neue und trickrei­chere Methoden, um das Produkt Ayurveda möglichst gewinnbrin­gend zu vermark­ten. Dagegen wäre eigentlich nichts einzuwenden, wenn im Falle von Ayur­veda mit der Wahrheit umgegangen würde. Aber es wird immer mehr zu fragwürdigeren Methoden gegriffen und man scheut sich auch nicht, grobe Unwahrheiten mit der grössten Gelassenheit in die Werbung einfliessen zu lassen. Wo­mit kann man denn heute das Publi­kum für eine neuen Gesundheitsmethode scharf machen? Ganz einfach: man behauptet, diese neue Me­thode, eben Ayurveda genannt, könne Krebs und AIDS heilen, sie helfe erfolgreich bei Altz­heimer und Parkinson. Doch wer so etwas behauptet, ist ein Scharlatan.

Was ist denn nun Ayurveda wirklich?

Ayurveda ist eine über 5000 Jahre alte indische Philosophie und heisst übersetzt "Die Wissen­schaft vom Leben". Die Lehre dieser Philosophie geht davon aus, dass der Mensch dann ge­sund ist, wenn Körper, Geist und Seele im Einklang mit dem Univer­sum sind. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle diese Philosophie zu erklären; darüber gibt es reichlich Literatur.

Wie aber bringt man Körper, Geist und Seele in ein ausgewogenes Gleichgewicht ? Verein­facht gesagt gehören zu Ayurveda Yoga, Meditation, natürliche Heil­mittel­kunde, therapeuti­sche Behandlungen mit Medizi­nen und speziellen Massageme­thoden, sowie vegetari­sches Es­sen und natürliches, der Umgebung angepasstes Verhalten. Auch die Astrologie spielt eine ganz wesentli­che Rolle. Ayurveda gibt in erster Linie Anleitungen zur Erhaltung eines gesun­den Körpers und damit zur Errei­chung eines langen und gesunden Lebens bei entspre­chender positiver Einstellung. Und in zweiter Linie hilft Ayurveda als Heilmethode in jenen Fällen, wo das Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Seele gestört ist.

Das Wissen über Ayurveda wurde in Indien von Generation zu Generation weiterge­geben und von Ge­lehrten in Sanskrit aufgezeichnet. Diese Aufzeichnungen sind relativ spärlich, sie wurden später in Kerala in mala­yalam ergänzt. Ausser in einigen anderen indischen Ge­bieten ist Ayurveda in Kerala am längsten bekannt und wurde in der Neuzeit auch ein Lehrfach an Universitäten. Die Ausbildung eines Ayurve­daarztes dauert 6 Jahre, ge­folgt von 4 Jahren Pra­xis bis er sich einigermassen in Ayurveda auskennt. Der Ayurvedaarzt muss über mehr als 1100 Kräuter, Pflanzen, Wurzeln, etc. Bescheid wis­sen, muss die genauen Bezeichnungen kennen, die Orte, wo diese Rohmaterialien wachsen, welche Wirkungen und Nebenwirkun­gen sie ha­ben, wie und wann sie ge­wonnen werden und wie sie zu Medizinen verarbeitet und natürlich auch wie und wann sie angewandt werden müssen. Er muss die speziellen in Ayur­veda angewende­ten Massagetechniken kennen und auch in der Lage sein, das Massageperso­nal entsprechend anzuweisen. Dass er selber Yoga praktiziert und regelmässig meditiert ist eine weitere Voraussetzung, genau so wie umfassende Kennt­nisse in der vegetarischen Ernäh­rungslehre. Dass auch genaue Kenntnisse der Anatomie, des Muskel- und Ner­vensystems zum Wissen eines Ayurvedaarztes gehö­ren, sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt. Der tradi­tio­nelle Ayurvedaarzt lebt auch nach der alten in den Veden festgehaltenen Lebensweise, was wiederum ei­nen wich­tigen Bezug zur indischen Kultur und zur hinduistischen Religion hat.

Massagepersonal braucht eine dreijäh­rige Ausbildung und praktische Tätig­keit. In Kerala wer­den Ayurveda-Masseure und -Masseusen in speziellen Ayurveda Colleges ausge­bildet und nachher in Ayurveda Spitälern eingesetzt. Von den alten, traditionellen Ayur­veda Arztfamilien gibt es leider nur noch wenige. Die jüngere Ge­neration ergänzt das von den Vorvätern über­mittelte Wissen an den Universitäten und gerät damit un­fehlbar in das kom­merzielle Fahrwasser. Glücklicher­weise gibt es in Kerala noch einige Institute und Spitäler, welche Ayurveda in der ursprünglichen tra­ditionellen Form vermitteln.

Mit der touristischen Entwicklung nimmt nun lei­der auch in Kerala Ayurveda Formen an, welche mit tra­ditionellem Ayurveda nicht mehr viel gemeinsam ha­ben. Hotels oder die immer zahlreicher werdenden Re­sorts kommen ohne Ayurveda-Abteilung nicht mehr aus. Sie ist ein Muss, genau so wie der Swimmingpool. Das Tou­rismus De­partement propagiert neben den einzigarti­gen Backwaters nun auch in vermehrtem Masse Ayur­veda. Nicht unbedingt als Le­bensart und Heilmethode sondern vielmehr als Devisenbringer. Und jeder, der ir­gendwie in seinem Haus oder seiner Hütte noch eine Ecke hat, wo er einen mehr oder weniger für Mas­sage geeigneten Tisch auf­stellen kann, bietet marktschreie­risch Ayurveda an, ohne je eine Ausbildung genos­sen zu haben. Auf den Re­klameschildern findet man auch oft die Namen von Ayur­veda-Doktoren aufgeführt, um dem Etablissement einen seriösen Eindruck zu ver­schaffen. Allerdings haben diese selbst ernannten Doktoren in den seltensten Fällen eine Uni­versität von innen gesehen und so lange sie kei­ner anklagt, passiert ihnen auch nichts. Und die von der Regierung eingesetzten Kontrolleure übersehen halt dann gegen ein angemessenes Schweigegeld den strafbaren Tatbe­stand, der Tango corrupti ist ja in Indien salon­fähig geworden und gehört zum Alltag.

Nach Kerala kommen immer mehr Leute, mei­stens weiblichen Geschlechts, welche sich in Ayurveda ausbilden lassen wollen. Sie besuchen dann gegen gutes Entgelt für zwei bis drei Wochen einen Massagekurs, um „Ayurveda“ zu lernen. Und nach die­ser Ausbildung kehren sie, wohlversehen mit einem Diplom oder einem Zertifi­kat, in den Westen zurück und offerieren dann in ihrem eigenen Etablissement Ayurveda !!!

Und damit ist Ayurveda zu einer simplen Oelmassageme­thode verkommen, welche seit ei­nigen Jahren auch im Westen praktiziert wird. Das dumme an der Sache ist nur, dass diese Oelmassagen unter Verwendung von bil­ligen Oelen und fragwürdigen Zusät­zen zu masslos über­setzten Preisen als Ayurveda angeboten werden, obwohl sie mit Ayurveda gar nichts mehr zu tun ha­ben.

Gegen eine Oelmassage wäre eigentlich an und für sich nichts einzuwenden, so­lange sie von ausgebilde­tem Personal ausgeführt wird und geeignete Oele ver­wen­det werden. Man könnte sie dann bestenfalls unter dem Begriff Wellness anbieten. Und wenn die Kunden bereit sind, die übersetzten Preise zu bezahlen, so kann man dies den Anbietern nicht verargen. Nur eines sollten sie nicht tun dürfen, nämlich ihre Dienste unter der Be­zeichnung Ayurveda anzubie­ten.

Es ist deshalb höchste Zeit, dass Ayurveda nur von ausgebildeten und staatlich ge­prüften Per­sonen an­geboten werden darf. Dann kann man nämlich auch den Schwindlern und Scharlata­nen das Handwerk legen. Eine Klassifizierung der Ayurveda-Institutionen, ähnlich der Hotel-Klassifizierung, kann ebenfalls helfen, die schwar­zen Schafe von den weissen zu trennen. Nur sollte diese vom Staat verordnete Klassifizierung von neutralen und gegen Korruption gefeiten Fachkräften durchgeführt und in unregelmässigen Abständen und unangemeldet kon­trolliert werden.

Ein Vergleich mit traditionellem Ayurveda zeigt, dass die im Westen angebotenen Ayurveda­kuren nur die Bezeichnung "Ayurveda" gemeinsam haben und deshalb mit nur wenigen Aus­nahmen kommerzielle Wellness-Veranstaltungen sind. Traditionelle Ayurveda-Anwen­dungen sind im Westen nämlich gar nicht möglich und zwar aus dem einfachen Grund, weil einerseits die für die Herstellung der Medizine und Oele notwendigen frischen Kräuter und Zutaten gar nicht in der benötigten Qualität gewonnen werden können und anderseits die klimati­schen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Ayurveda gibt es auch nicht in Pillenform. Dazu kommt, dass in den meisten Fällen geschultes und erfahrenes Massage­personal fehlt. Die im Westen praktizierenden Ayurve­daärzte mögen zwar medizinische Grundkenntnisse ha­ben, in traditionellem Ayurveda verfügen aber die we­nig­sten über die notwendige langjährige prakti­sche Erfah­rung. Hauptsache, es lässt sich mit masslos übersetzten Preisen gutes Geld verdienen, so nach dem Motto "Was nichts kostet, ist nichts wert". Also muss auch Ayurveda im Westen teuer sein, um gut zu sein. Selbst wenn es ein Schwindel ist.

Und zuletzt ein Rat an jene Personen, welche eine echte traditionelle Ayurvedakur machen wollen: nehmen Sie sich auf alle Fälle drei bis vier Wochen Zeit für eine Kur und klären Sie vorher ab, ob das von Ihnen gewählte Institut Gewähr für eine echte Ayurvedakur bieten kann. Und bedenken Sie: eine echte und wirksame Ayurveda­kur können Sie nur im Ur­sprungsland Indien machen, Kerala ist dafür am besten geeig­net. Und vor allem müs­sen Sie wissen, dass während einer Kur sonnenbaden, schwimmen, rauchen und Alkohol strikte un­tersagt sind, wenn die Kur eine nachhaltige Wirkung haben und das Immunsystem stärken soll. Eine richtige und traditionelle Ayurvedakur wirkt im Körper bis zu 6 Monate nach. Es ist auch nicht ratsam, dass man Reisen mit Ayurveda verbindet, entweder man macht eine Kur oder aber eine Tour. Wenn man genügend Zeit zur Verfügung hat, emp­fiehlt es sich, zuerst zu touren und am Schluss zu kuren. Nach ei­ner Ayurve­dakur sollte man unbedingt noch min­de­stens eine Woche ausruhen können. Und zu Hause die Empfehlungen des Ayurvedaarztes weiter befolgen, ge­nau so, wie die gelernten Yogaübungen täglich fortzuset­zen, zu meditieren und gesund zu essen. Dann darf man auch hoffen, dass Körper, Geist und Seele im Gleichge­wicht bleiben.

Varkala, im April 2002
Hans Müller

Der Autor lebte von 1996 bis 2006 in Kerala (Südindien) und beschäftigte sich als unabhängi­ger Be­rater mit den kommerziellen Auswüchsen von Ayurveda. Er setzte sich für die Er­haltung und den Schutz des traditio­nellen Ayurveda ein und bemühte sich um die Abgrenzung zwischen traditionellem und kommerziel­lem Ayurveda. Er beriet zahlrei­che Ayurveda-Institutionen in Kerala und führte zusammen mit einem traditionellen Ayurveda-Arzt das Geethanjali Ayur­veda Madom, ein kleines Ayurveda Institut in der Nähe von Trivandrum. An Semi­naren referierte er über Ayurveda im Tourismus.
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