Schriftenreihe Ayurveda

29 June 2006

Einweihung Geethanjali Ayurveda Madom

Der folgende Text stammt aus meinem Tagebuch an meine Eltern und handelt von der feierlichen Einweihung eines Ayurveda-Projektes in Kerala.

6. April 2000

Zuerst zur Einleitung, damit ihr genau wisst, wovon ich spreche, von wem und wieso es überhaupt zu diesem Anlass kam.

Hans hat anlässlich eines Vortrages im Rotary Club Kazhakuttom den dortigen Clubpräsidenten Dr. Gopika Remanan kennengelernt. Er ist ein traditioneller Ayurveda-Arzt und hat Hans gebeten, ihm für seinen "Lebenstraum" beratend zur Seite zu stehen. Dr. Gopika hat in Chittattumukku ein Gästehaus gebaut und daneben ein sogenanntes "Madom", einen Ayurveda-Behandlungsraum. Die Konstruktion aus Bambus, Holz und Palmblättern basiert auf genauen Plänen nach alten ayurvedischen Berechnungen. Die Grösse, Höhe, Innenausstattung, wie die Hütte zur Sonne stehen muss und jede Ecke hat seine bestimmte Funktion. In der Hütte ist es nie stickig und heiss, weil ein natürliches Belüftungssystem die Luft zirkulieren lässt. Die Tragbalken sind aus einem ganz speziellen Holz, der Boden aus hart getrocknetem Kuhmist, das Palmdach bis fast zum Boden hinunter gezogen - alles ganz natürlich in Einklang mit der Natur. Kein einziger Nagel wurde verwendet - alles nur natürliche Materialien. Das Madom besteht aus einem rechteckigen Raum mit einer Spezialnische für den Behandlungstisch, Platz für eine grosse Bodenmatte für Massagen mit den Füssen und eine Ecke für Yoga- und Meditation. In einer Altarecke wird für jeden Patienten vor der Behandlung eine spezielle Pooja (Gebet nach hinduistischem Ritus) gemacht. In der Nasszelle wird der Patient gewaschen - mit warmem Kräuterwasser, welches draussen auf dem Holzfeuer (nicht etwa auf Gas) in steinernen Gefässen erhitzt wird. Das Gästehaus ist wie ein modernes Wohnhaus gebaut. Konsultationszimmer des Arztes, Wohnzimmer, Esszimmer, Küche und im Obergeschoss zwei Gästezimmer mit Bibliothek und auf dem Dach eine mit Palmblätter gedeckte Terrasse. Zur gleichen Zeit können also maximal zwei Patienten aufgenommen werden.

Dr. Gopika denkt vor allem an Patienten aus dem Westen, die schwere Leiden und Krankheiten haben und nicht in erster Linie an gestresste und ruhesuchende Westler. Den Patienten bietet er umfassende mehrwöchige Kuren an mit Massagen aus selbst hergestellten Oelen, Medizinen, Kräutertees, Ayurveda-Diäten, Yoga und Meditation. Dr. Gopika ist 24 Stunden für den Patienten da, eine Betreuerin kümmert sich um die Patienten und ist Vermittlerin zwischen Patient und Arzt. Geetha, Dr. Gopikas Frau, schaut für den reibungslosen Ablauf im Gästehaus. Köchin, Putzfrau und ein Gärtner/Security Mann gehören ebenfalls zum Team.

Das also zur Einleitung. Dr. Gopika wollte die Einweihungszeremonie auf den 16. April ansetzen, doch der Astrologe hat ihm den 6. April als besten Tag vorgegeben. Sonst hätten sie wieder mindestens 2 ½ Monate für ein weiteres günstiges Datum warten müssen. Der Astrologe hat auch bestimmt, die Zeremonie dürfe nicht von einem x-beliebigen Dorfpriester gemacht werden. Er müsse sich an "DEN" Ayurveda-Thantri (Oberpriester) in Trichur (Nordkerala) wenden. Obwohl Dr. Gopika ihn nicht kannte, schrieb er ihm einen Brief und bat ihn um die Durchführung der Einweihungszeremonie für sein Ayurveda-Zentrum, wie sein Astrologe es ihm vorgeschlagen habe. Der Thantri nahm die Einladung an und die Vorbereitungen konnten beginnen.

Dr. Gopika lud nur seine engste Familie und Verwandtschaft ein - und uns! Das ist wirklich eine ganz besondere Ehre, dass er uns zur Familie zählt, denn eine solche Pooja haben wohl viele Einheimische noch nie erlebt. Der Thantri residiert in einem Ashram und reist nur sehr selten - er ist also nicht einer dieser "käuflichen" Reisepriester, die für einen Obolus alles und jedes einweihen. Selbst Dr. Gopika war ganz aufgeregt. Er wollte jede Show vermeiden, deshalb lud er, wie sonst bei solchen Anlässen üblich, weder die Presse, noch Reiseveranstalter ein. Auch keine Politiker, Clubkollegen, Nachbarn, Freunde und Bekannte. Und vor allem keine "Videöler" und keinen Fotografen!!! Er kam in unser Haus und lud uns persönlich zum Fest ein. Er brachte uns nach alter Tradition und wie es sich in der Familie gehört, neue Kleider für das Fest. Einen Kerala-Dothi mit Schal (beige und goldene Bordüren) für Hans und einen Kerala-Sari in beige mit Goldstreifen für mich. Zuerst dachten wir, er vermute wohl, dass wir als ehemalige Westler keine passende Kleidung für einen solchen Anlass hätten. Er belehrte uns aber, dass es sich traditionsgemäss gehört, dass der Gastgeber seine Familie für den grossen Tag mit neuen Kleidern ausstaffiert. Wir waren von dieser Geste tief beeindruckt.

Bei uns gab dieses Thema natürlich viel Gesprächsstoff und wir wollten von unserer Hausangestellten Sandha und unserer Pflegetocher Savida gleich alle Verhaltensregeln wissen, um auch ja nicht in ein Fettnäpfchen zu treten. Dabei lernten wir, dass der Thantri folgendermassen begrüsst wird: man verneigt sich vor ihm, berührt ihm die Füsse, steht wieder auf, faltet die Hände und begrüsst ihn mit "Namaskar". Man geht rückwärts wieder zurück. Nie und nimmer dem Thantri den Rücken zukehren! Nun, das konnten wir uns merken und schauten dem Anlass in fast fiebriger Erwartung entgegen.

Am 6. April, morgens um 03.00 Uhr war Tagwache. Für Savida kein Problem, da sie am Vorabend bereits um 18.30 Uhr im Bett war. Sie war so aufgeregt, dass sie ihren grossen Wecker auf ihrem Kissen haben wollte, um immer wieder auf die Uhr schauen zu können, damit sie "very early" nicht verpasse. Sandha half uns bei der Garderobe und dann konnten wir uns mit dem Auto auf den Weg machen. Savida durften wir mitnehmen, weil Sandha am Vormittag für eine Woche in ihr Heimatdorf fuhr.

Der Thantri traf bereits am Vortag mit seinem Gefolge aus Trichur (nördlich von Cochin) ein. Dr. Gopika stellte ihm sein Elternhaus zur Verfügung, damit der Thantri sich in privater Sphäre seinen Gebeten widmen und sich auf die bevorstehenden Rituale vorbereiten konnte. Der persönliche Koch, der auch in seinem Gefolge angereist kam, musste ihm die traditionellen ayurvedischen und vegetarischen Speisen zubereiten.

Um 05.00 Uhr kamen wir bei Dr. Gopika an. Bevor wir in das Madom, den nach alten traditionellen und in Sanskrit beschriebenen Grundlagen erbauten Ayurveda-Raum eintreten durften, wusch Dr. Gopika Hans und mir die Füsse - eine Geste des Respektes und der Ehrerbietung gegenüber dem Gast. Der Thantri war bereits in seine ersten Gebete vertieft als wir zusammen mit der Familie eintraten - also fiel die uns von Sandha eingetrichterte Begrüssung schon einmal aus! Die Frauen sassen im Schneidersitz auf einer Decke am Boden; Frau Gopika, ihre Mutter und ich hatten je ein Kind auf dem Schoss. Hans durfte auf einem richtigen Stuhl sitzen während die übrigen Männer standen. Wir waren nur etwa 8 Personen. Draussen war es noch ganz dunkel. Wir schauten in das prasselnde Feuer, folgten gebannt den Gesten und der Mimik des Thantris. Im Raum herrschte eine ganz spezielle Stimmung, welche nicht mit Worten zu beschreiben ist. Ich hatte und habe ja immer etwas Mühe, Schwingungen wahrzunehmen und zu spüren, aber diesmal habe ich es sogar gemerkt! Der Thantri sass vor einer mit Ziegelsteinen gebauten Feuerstelle mit Blick gegen Osten, wo die Sonne aufgehen wird. Auf den Ziegeln waren mit Reis- und Turmerikpulver verschiedene Muster gemalt, hier eine Lotosblume und da eine Dekoration, drum herum standen 6 Deepams, die in Südindien traditionellen Oellampen und beleuchteten zusammen mit dem Feuer den Raum. Die Stirn des Thantris war mit heiliger Asche bemalt, genau wie die Zeichnungen auf den Oberarmen. Er trug die Brahmanen-Schnur diagonal über den Oberkörper und mit einen 16 Meter (!) langen dünnen Baumwollstoff umhüllte er seine Taille (zum Vergleich: ein Sari ist 6-8 Meter lang). Im Schneidersitz sass er vor dem Feuer und sagte stumm seine Gebete vor sich hin. Es ist fast nicht mit Worten zu umschreiben, wie der Thantri mit seinen Gesten den Göttern huldigte. Ein wirklich einmaliges Erlebnis, wir waren alle völlig im Bann des Geschehens. Während der Thantri betete, kochte ein Priester hinter uns Frauen auf einer einfachen Feuerstelle diverse Opfergaben. Wie alle Keraliten, lieben auch die Götter "Payasam" über alles, die südindische Schlabber-Dessert-Speise aus Milch, zerlassener Butter, Reis, Cashewnüssen, Weinbeeren und Braunzuc ker. Langsam wurde es draussen hell und die erste Pooja dauerte bis zum ersten Sonnenstrahl, welcher auf die Erde fiel. Die Kinder schliefen uns fast auf dem Schoss ein, während wir immer noch ganz im Banne des Rituals waren. Zum Abschluss der Pooja standen wir alle um das Feuer herum und beteten gemeinsam. Der Priester verteilte jedem einen Löffel voll Payasam auf einem kleinen Stück Bananenblatt und wir bekamen eine schwarze Paste, mit der wir den traditionellen Punkt auf die Stirn malten.

Der Thantri zog sich zurück, der Priester, übrigens ein ganz berühmter ehemaliger Ayurveda-Arzt, traf alle nötigen Vorbereitungen für die nächste Pooja. Nach dem anstrengenden sitzen waren wir froh, etwas die Füsse vertreten zu können und im Gästehaus Tee zu trinken.

Bevor die nächste Pooja um 10.00 Uhr weiterging, hatte Hans noch eine Privataudienz beim Thantri und Dr. Gopika war der Übersetzer, weil der Thantri nur malayalam spricht. Das Gespräch war äusserst interessant und für Hans war es natürlich eine besondere Ehre, als Weisser von einem so hochstehenden Thantri persönlich empfangen zu werden. Doch wie sich später der Thantri gegenüber Dr. Gopika äusserte, war auch er von der Begegnung mit Hans beeindruckt. Normalerweise wird nach einer solchen Einweihung jeder Jahrestag mit einer weiteren Pooja gefeiert, welche aber vom normalen Dorfpriester durchgeführt wird. Am Abend hat der Thantri dann Dr. Gopika versprochen, dass er auch nächstes Jahr gerne wieder kommen werde, um das erste Jahresfest mit uns zusammen zu feiern. Also hat es auch ihm gefallen. Er lebt ganz asketisch und zurückgezogen in seinem Ashram in Trichur. Er ist also keiner jener Thantris, welche in einem Ashram wohnen und reichen Westlern das Geld aus den Taschen ziehen, damit sie in bekannter Manier in einem Rolls Royce durch die Weltgeschichte kutschieren können.

Zur zweiten Pooja-Session waren wir eine Gruppe von etwa 20 Personen, da noch ein paar enge Verwandte dazu kamen. Doch es war immer noch im kleinen und familiären Rahmen. Jetzt war es hell draussen und obwohl die Sonne schien, blieb es im Raum angenehm kühl. Das Feuer war inzwischen erloschen und der Thantri verwendete die übrige Asche für die nächste Pooja. Er sass jetzt vor einem wunderschön gemalten "Mandala", welches der Priester inzwischen mit Reis- und Turmerikpulver am Boden gezeichnet hatte. Auf das Mandala wurden zwei Häufchen Rohreis gestreut, zwei neue Dothis (die später der Thantri und der Priester bekamen), wieder Reis, drei Stäbchen Sandelholz, eine Kokosnuss und eine Handvoll Blumenblüten. Dahinter standen drei Deepams und der Thantri begann wieder mit seinen Gebeten und warf nach jedem Vers einige Blüten auf die Opfergaben.

Der Priester hatte jetzt alle Hände voll zur tun mit seiner grossen Kocherei für das Mittagessen für die Götter. Bis der Thantri fertig war mit seinen Gebeten, hatte der nun als Koch tätige Priester sieben verschiedene Gerichte auf der einfachen Feuerstelle gekocht. Er plazierte alle Töpfe vor den Thantri, welcher die Mahlzeit segnete. Anschliessend sang der Priester mit eintöniger Stimme ein sehr langes Gebet mit unzähligen Versen. Nach jedem Vers warf er eine Handvoll Blumenblüten auf die Opfergaben, so dass die Dothis mitsamt den Kokosnüssen unter einem riesigen Blumenberg verschwanden. Das Ende der Pooja wurde wieder mit einem gemeinsamen stillen Gebet abgeschlossen und jetzt bekamen wir eine rote Paste für einen weiteren "Tupfen" auf die Stirn.

Bald war Mittag und es strömten immer mehr Leute herbei, weil alle auf die offizielle Eröffnung warteten. Wir sassen gemütlich unter einem riesigen Mangobaum, während Savida und die anderen Kinder den Gästen Zitronenwasser reichten. Hans wurde hier jemandem vorgestellt und da gab es ein Small talk - wie gehabt. Wir durften uns aber immer wieder in die Bibliothek zurückziehen, um uns auszuruhen. Mit der offiziellen Eröffnung hatte der Thantri nichts zu tun. Das Deepam, welches wir Dr. Gopika zu diesem Anlass geschenkt hatten, wurde auf einem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes aufgestellt und dekoriert. Dr. Gopika zündete einen Docht an, Hans, der Architekt, der Astrologe und ein weiteres Familienmitglied die übrigen. Das war auch schon alles. Keine Reden - nichts.

Alle Gäste wurden nun in einem speziellen für diesen Zweck aufgestellten Zelt hinter dem Haus verköstigt. Wir durften im Esszimmer mit einigen wichtigen eingeladenen Gästen essen. Anschliessend verabschiedeten sich die Leute und es wurde wieder ruhiger. Hans und ich zogen uns zurück in die Bibliothek, denn die nächste Pooja begann erst um 16.30 Uhr. Auf einem Silbertablett wurden sieben Schalen mit den während der zweiten Pooja zubereiteten Opfermenüs angeboten und wir durften von allem kosten. Die Kinder und Frauen schauten unten im Wohnzimmer einen Malayalam-Film und gegen 16.00 Uhr schliefen in verschiedenen Zimmern überall Verwandte und es war ganz still im Haus. Als wir einen kurzen Spaziergang machen wollten, zog ein heftiges Gewitter auf mit Blitz, Donner und starkem Regen. Es strömte sintflutartig als die letzte Pooja im Ayurveda-Madom begann.

Später erfuhren wir, dass der Thantri das Gewitter und den Regen erwartet hatte, denn um etwas Neues zu beginnen, gehört davor ein reinigendes Gewitter und Regen. Wie in der Natur, wo anschliessend alles wieder gereinigt ist und aufblüht, sollte das Gewitter auch ein guter Start für das Ayurveda-Zentrum sein.

Jetzt sass der Thantri in der Mitte des Raumes, mit Blick zur untergehenden Sonne (sofern sie zu sehen gewesen wäre), vor ihm ein reichverziertes "Mandala", welches der Priester inzwischen wieder gemalt hatte. Weisses Pulver aus Reismehl, gelb aus Turmerikpulver, rot aus Chillipulver und dunkelblau oder schwarz aus einem mir unbekannten Kraut. In der Mitte stand ein schönes grosses Deepam, drum herum 4 kleine Deepam. Neben mir am Boden sassen zwei Grossmütter und haben Blüten von Lotus, Jasmin und anderen Blumen für die Pooja abgezupft.

Wieder waren nur die Familie und ein paar wenige Verwandte anwesend. Draussen war es schon ganz dunkel, es regnete und drinnen sassen wir nur im Schein der Deepams, da die einzige Neonröhre, welche den Raum beleuchten sollte, ständig ausfiel, weil die Sicherung immer wieder durchbrannte. Es war wunderschön und wir hielten nochmals volle dreieinhalb Stunden durch! Für den Priester gab es nicht mehr so viel zu kochen, da die Götter anscheinend auch ein leichtes Abendessen bevorzugten und so begnügte er sich mit einem Dessertgericht, von dem wir nach der Pooja alle versuchen konnten. Die Stimmung war wieder so voller Schwingungen und der schönste Teil des Tages war für mich, als ein paar Frauen und die Kinder am Boden sassen um für die Gebete des Thantris die Blütenblätter von den Lotusblumen zu trennen. Alle sassen im Schneidersitz am Boden, waren in ihre Arbeit vertieft. Im Schein der Oellampen sangen der Thantri und der Priester die Gebete. Später schliefen uns die Kinder auf dem Schoss fast ein. Es war eine unbeschreiblich schöne und feierliche Stimmung. So harmonisch und friedlich.

Um 20.00 Uhr war alles vorbei. Der Thantri und der Priester verabschiedeten sich. Aber wieder, ohne dass wir dem Thantri die Füsse hätten berühren müssen. Die beiden sind noch am selben Abend mit dem Bus nach Trichur zurückgefahren, während auch wir uns bald verabschiedeten und heimfuhren.

Das war wirklich ein Tag, den wir nicht so schnell vergessen werden; ein eindrücklicher und eng mit der keralitischen Kultur und der hinduistischen Religion verbundener Anlass, welchen man nur hier in Indien erleben kann - einfach einmalig!!!

Varkala, 7. April 2000