Schriftenreihe Ayurveda

01 July 2006

Ayurvedische Tradition gegen Kommerzielles Ayurveda

Zur Einführung
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Der Titel der nachfolgenden Tagebuchnotizen
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wurde von mir ganz bewusst gewählt. Ich beschäftige mich sehr intensiv mit dem Thema Ayurveda, seit meine Frau Yvonne und ich im August 1996 aus der Schweiz auswanderten und wir uns in Kerala niedergelassen haben.

Mein Interesse galt schon seit langem den alternativen Heilmethoden, da ich nach eigenen Erfahrungen zur Auffassung gekommen bin, dass die westliche Schulmedizin durch die zunehmende hochgradige Spezialisierung immer weniger den Menschen als ein Ganzes sieht. Dies ist keine abschätzige Gewichtung der westlichen Schulmedizin, sondern eine Feststellung.

Die Spezialisierung auf einzelne Körperteile und -funktionen unter bewusster oder ungewollter Vernachlässigung der ganzheitlichen Methode steht in krassem Gegensatz zur traditionellen fernöstlichen, viele tausend Jahre alten Medizin, welche auch heute noch davon ausgeht, dass der Mensch als Ganzes im Einklang mit der Natur betrachtet werden muss.

Ayurveda oder die "Wissenschaft des Lebens" ist eine jahrtausende alte indische Philosophie welche ihre Wurzeln in Kerala, dem südlichsten Bundesstaat Indiens hat. Es soll nicht Aufgabe des nachfolgenden Textes sein, Ayurveda zu erklären; darüber existiert genügend Literatur von berufeneren Leuten.

Die ayurvedische Philosophie geht davon aus, dass der Mensch dann vollkommen gesund ist, wenn Körper, Geist und Seele im Gleichgewicht und im Einklang mit dem Universum sind. Wenn dieses Gleichgewicht gestört ist, sendet der Körper entsprechende Signale aus. Der traditionelle Ayuveda-Arzt kann diese Signale oder Symptome mit der Pulsdiagnose erkennen und entsprechend deuten. Im Gegensatz zur westlichen Medizin werden in der ayurvedischen Heilmethode nun aber nicht in erster Linie die Symptome, sondern die Ursachen mit natürlichen Mitteln bekämpft. Hauptziel ist immer die Wiederherstellung des Gleichgewichtes der drei Doshas.

Seit einigen Jahren ist Ayurveda auch im Westen in Mode gekommen. Und da man mit der Mode bekanntlich gute Geschäfte machen kann, ist leider die traditionelle ayurvedische Heilmethode verkommerzialisiert worden und vielerorts, selbst in Kerala, dem Ursprungsland der ayurvedischen Philosophie, zu einer ganz gewöhnlichen Oelmassage-Methode verkommen. Das ist sehr schade. Was heute vielerorts unter dem Begriff Ayurveda angeboten wird, hat mit dem ursprünglichen traditionellen Ayurveda wenig bis nichts zu tun und dürfte vielleicht und mit allen Vorbehalten unter dem Begriff Wellness eingereiht werden.

In den vergangenen vier Jahren haben wir hier in Kerala mit vielen Ayurveda-Aerzten intensive Gespräche geführt. Wir haben unsere regelmässigen wöchentlichen Ayurveda-Massagen an verschiedenen Orten genossen und können uns heute aus eigener Erfahrung ein Urteil erlauben.

Es sei ausdrücklich erwähnt, dass kommerziell ausgeführte Ayurveda-Anwendungen nicht generell schlecht sein müssen. Sie haben lediglich mit der traditionellen Ayurveda Philosophie nur noch die Bezeichnungt Ayurveda gemeinsam. Die kommerzielle Vermarktung des Begriffes Ayurveda wird auch nicht aufzuhalten sein, denn mit der Gesundheit konnte man schon immer, und in Zukunft sicher noch vermehrt, gute Geschäfte machen.

Was mich ganz persönlich bewogen hat, die Tagebuchnotizen meiner Frau Yvonne zu veröffentlichen, ist dem glücklichen Umstand zuzuschreiben, dass wir hier in Kerala einem echten traditionellen Ayurveda-Arzt begegnet sind. Einer alten Ayurveda-Arztfamilie entstammend, hat er sich nach dem Ayurveda-Studium voll und ganz den alten Traditionen zugewandt und wendet kompromisslos bis ins kleinste Detail die Grundsätze der in der ayurvedischen Philosphie enthaltenen Heilmethoden an. Dass hierzu auch ayurvedische Ernährung, Astrologie, Yoga und Meditation gehören, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit.

Mit der etwas provokativen Ueberschrift "Ayurvedische Tradition gegen Kommerzielles Ayurveda" will ich keinesfalls ein Streitgespräch in Gang bringen. Streit passt ohnehin nicht zu Ayurveda. Ich möchte ganz einfach den interessierten Personen, welche den Umständen entsprechend und ohne ihr Zutun mit dem kommerziellen Ayurveda Bekanntschaft machten, aufzeigen, dass die traditionelle ayurvedische Heilmethode ganz anders ist.

Die nachfolgenden Tagebuchnotizen erheben keinen Anspruch auf eine genaue Untersuchung der Unterschiede zwischen Tradition und kommerzieller Anwendung. Sie wollen jedoch den an Ayurveda interessierten Personen den Rat geben, sich vor der Buchung einer Ayurvedakur genau über die angebotenen Leistungen zu informieren und damit eine kommerzielle Ausbeutung zu vermeiden. Und was hilft dazu besser, als die Schilderung der selber erlebten Methoden eines echten traditionellen Ayurveda-Arztes?

Ich wünsche Ihnen ein stets ausgewogenes Gleichgewicht Ihrer drei Doshas.

Hans Müller

Varkala, im Juli 2000




Yvonne Muller-Bruderer

Ayurvedische Tradition
gegen
Kommerzielles Ayurveda

Auszüge aus meinen Tagebuchnotizen an meine Eltern

15. April 2000
Besprechung im Geethanjali Ayurveda Madom

Am Samstag vor einer Woche waren wir bei Dr. Gopika im Geethanjali. Wir waren völlig platt, als er uns bereits eine fixfertige Vorlage für die Broschüre vorlegte. Der Text ist sehr gut gelungen - nicht zuviel und doch wird alles Wissenswerte erwähnt und der Titel heisst: It's not a Resort! Das ist wirklich treffend. Dieser Behandlungsort soll sich ja abheben von all den Ferien-Ayurveda-Anlagen und will auch kein Spital sein.

Das Geethanjali Ayurveda Madom ist eine echte Alternative zu den vielen bestehenden Resorts, welche zwar Ayurveda Behandlungen anbieten, aber eben meistens in Verbindung mit Hotelaufenthalten und weiteren touristischen Aktivitäten. Nach den vielen bisher besuchten Anlagen sind wir vom Geethanjali-Konzept wirklich überzeugt und sind sicher, dass es Patienten gibt, welche für eine solch spezielle Behandlung nach Kerala kommen. Das "Produkt" Geethanjali ist eine echte Marktlücke. Noch traditioneller kann man die Behandlungen gar nicht haben...

Dr. Gopikas Wissen ist riesig gross und er wird alles versuchen, seinen Patienten zu helfen. In der ersten Woche wird der Körper nur mit Ganzkörpermassagen behandelt, ein erfahrener Yogalehrer erteilt spezifische Yoga- und Meditations-Lektionen und man gewöhnt sich an das Ayurvedische Essen. Erst nach diesen 7 Tagen ist der Körper auf die eigentlichen Kuren eingestellt, wo man auf die speziellen Gebrechen, wie z.B. rheumatische Erkrankungen, Arthritis, Parkinson, Bluthochdruck, Kreislaufkrankheiten, postoperative Beschwerden, allgemeine Altersbeschwerden, etc. eingehen und Verjüngungs- und Reinigungskuren einleiten kann. Deshalb dauert eine Kur mindestens 2 volle Wochen, besser sind 3 - 4 Wochen.

26. April 2000 / Einweihung der ersten Behandlung im Geethanjali

Am Abend des 25. April rief uns Dr. Gopika an und teilte uns mit, dass am nächsten morgen um 07.00 Uhr im Geethanjali die erste Massage eingeweiht wird. Wir wurden herzlich dazu eingeladen uns so standen wir am nächsten Morgen bereits um 05.00 Uhr auf, um rechtzeitig in Chittattumukku zu sein. Der Astrologe hat für diesen Anlass wieder den besten Tag und die Tageszeit berechnet und auch das Horoskop des "Patienten" musste mit dem Anlass übereinstimmen. Hier gehört eben der Rat des Astrologen zum Leben jedes Inders. Bei Dr. Gopika geht das aber viel tiefer, weil sein Astrologe sehr eng mit ihm und seiner Familie verbunden ist. Dr. Gopikas Wissen ist wirklich faszinierend und wir sind nach jedem Besuch wieder überwältigt, wie er all diese Überlieferungen und Traditionen in völliger Reinkultur beibehält und einhält, ohne auf Kompromisse einzugehen.

Wie dem auch sei, Dr. Gopika hat einen Bekannten gefunden, dessen Sterne für diesen Anlass passten (übrigens ein Bankangestellter) und der Masseur ist einer der ganz wenigen in Kerala, die noch die richtige, traditionelle Fussmassage pflegen. Er ist Kathakali-Tänzer und Kalari-Kämpfer. Die Kathakali-Tänzer müssen für eine 8-stündige Aufführung ganz enorm in Form sein. Das dicke Make-up, die schweren Kostüme, das stundenlange Tanzen - das braucht einen starken Körper. Und der Kalari-Kampfsport ist eine ganz spezielle Kampfmethode mit Messer. Heute wird natürlich nicht mehr gegen den Feind gekämpft, aber immer noch sind Waffen im Einsatz und jede Bewegung muss sitzen. Dazu braucht es sehr viel Kraft, Körperbeherrschung und einen flinken Körper. Früher war es eine reine Kampfart, heute gehören solche Aufführungen zum indischen Kulturerbe. Die Körper dieser Tänzer und Kämpfer werden seit jeher nur im Einklang mit der ayurvedischen Philosophie in Form gehalten. Dazu gehören Massagen, ayurvedisches Essen (rein vegetarisch), Yoga und Meditation. Dieser Mann ist also Tänzer (man sieht es ihm auch an - nach so vielen Jahren nehmen die Leute die Physionomie der dargestellten Charaktere an...), Kampfsportler und Masseur in einem. Er hat über 40 Jahre Erfahrung und hat sich verpflichtet, bei Dr. Gopika die speziellen Massagen mit den Füssen für die Patienten zu machen. Das muss bestimmt etwas ganz besonderes sein. Er wird später auch uns massieren. Darauf freuen wir uns jetzt schon. Das ist übrigens keine Fussmassage, sondern eine Ganzkörpermassage, wobei der Patient vom Masseur mit den Füssen massiert wird. Wenn man die Augen geschlossen hat, merkt man den Unterschied zwischen einer mit den Händen oder den Füssen verabreichten Massage kaum.

Der Patient wurde für die Massage mit einem speziell gewickelten Lendenschürzchen vorbereitet und der Körper mit eigens für ihn gemischtem Oel eingeölt und ein spezieller Puder wurde ihm auf den Kopf (Chakra) gerieben. Das wird auch in jedem keralitischen Haushalt benützt und wir kennen das von anderen Massagen her. Der Masseur machte mit dem Patienten eine schöne Pooja (Gebet nach hinduistischem Ritus) vor unserem Deepam, der traditionellen Oellampe, welche wir Dr. Gopika zur Eröffnung geschenkt hatten. Der Masseur hat das Deepam angezündet, hat die Schale mit dem warmen Oel für die anschliessende Massage davor gestellt, hat sich verneigt und gebetet. Der Patient bekam genaue Anweisungen, wie er drei Tropfen von dem Oel vor sich am Boden und seine Füsse betupfen musste. Normalerweise wird vor jeder Behandlung eine Pooja gemacht, aber natürlich ohne Zuschauer. Diesmal waren ausser uns auch noch die Familie Gopika anwesend.

Und dann begann die Massage. Der Patient lag auf einer speziellen Reisstrohmatte am Boden und der Masseur begann mit seiner Arbeit. Das dafür benötigte Oel hat ein altes "Waldmännchen" zusammengebraut, welcher ebenfalls von Dr. Gopika angestellt ist und schon für dessen Vater arbeitete.. Alles aus frischen Kräutern und Wurzeln, in kleinen Quantitäten für nur diesen einen Patienten, gerührt und gekocht in Messingschalen und anschliessend werden die Oele in spezielle Steingefässe abgefüllt, in denen man früher Pickels eingelegt hat, die über ein Jahr damit haltbar waren. So ist das Oel unverändert haltbar. Für jeden Patienten wird das Oel gemäss den Anweisungen von Dr. Gopika zusammengestellt. Da steckt ein riesiger Aufwand dahinter, aber nur so ist es traditionell und so, wie es Dr. Gopika aus den Ayurveda-Schriften gelernt hat. Keine Plastikmatte, kein Plastikkübel - nur natürliche Materialien, wie es die Tradition verlangt.

Wir wollten die Behandlung nicht weiter stören und gingen wieder ins Wohnhaus hinüber. Frau Gopika war mit dem Frühstück bereit und sie verköstigte uns mit Ideli und Sambar. Inzwischen hatten sie auf unsere Anregung hin auf der Dachterrasse ein wunderschönes Palmdach erstellt, nicht so einfach wie unseres, ein richtig schönes aufwändiges, das zur Hauskonstruktion passt. Das ist ein sehr schöner luftiger Raum für die Patienten, wo sie sich aufhalten und ausruhen können.

Dr. Gopika hat sich riesig gefreut, dass wir so kurzfristig kommen konnten. Hans und er fühlen sich einander sehr verbunden. Wir sind von jedem Besuch wieder überwältigt, weil er uns immer wieder neues Wissen über Ayurveda vermittelt. Eine wirkliche Bereicherung. Sobald alles fertig eingerichtet ist, werden wir unsere wöchentliche Massage im Geethanjali haben. Wir müssen uns einfach einen Wochentag freihalten, denn für die Fahrt benötigen wir pro Weg ¾ Stunden. Doch nach der Massage können wir uns auf der Dachterrasse ausruhen und später heimfahren. Das ist natürlich das non plus ultra. Ich kann es kaum erwarten, bis es losgeht. Denn da liegen Welten zwischen all den Massagen, welche wir bis anhin hatten und den Behandlungen im Geethanjali.

12. Mai Mai 2000 / Anmeldung zur ersten Massage im Geethanjali

Heute fuhren wir zu Dr. Gopika vom Geethanjali, um uns für unsere wöchentlichen Massagen anzumelden und einen festen Wochentag zu vereinbaren. Bisher hatten wir regelmässig jede Woche eine Ganzkörpermassage im Taj Garden Retreat und früher in der von einem Ayurveda-Spital in Trivandrum geführten Ayurveda-Abteilung im Preeth Beach Resort, zuletzt auch noch im Kairali neben dem Preeth.

Wir besprachen mit Dr. Gopika das Vorgehen und jedesmal, wenn wir das Haus der Familie Gopika verlassen, sind wir ganz benommen von den neuen Ausführungen, Erzählungen und Erkenntnissen. Wir freuen uns jetzt auf unsere erste Generalmassage am Donnerstag, den 18. Mai. Wir werden uns inskünftig immer den Donnerstag für unsere Massagen frei halten. Wir müssen morgens um 07.00 Uhr dort sein. Hans wird zuerst behandelt - entweder bekommt er eine Fussmassage vom Kathakali-Tänzer oder eine Ganzkörpermassage von einem Masseur. Anschliessend wird geruht, dann gibt es Frühstück (Ayurveda-food) und inzwischen werde ich massiert. Eine Behandlung dauert inkl. waschen 1 ½ bis 2 Stunden. Und nachmittags um 12.00 Uhr lässt man uns wieder heimfahren.

Bei Dr. Gopika ist auch eine Ganzkörpermassage (General Massage) nicht nur eine Oelmassage - auch da wird Wert darauf gelegt, dass das Umfeld stimmt, die Ruhezeiten eingehalten werden, das Essen gehört dazu... Es muss einfach alles stimmen. Zudem haben wir auch erfahren, dass er für jeden Patienten den Menüplan separat zusammenstellt. Wir dachten bis anhin, der Gast würde einfach das gleiche vegetarische Essen bekommen, wie die übrige Familie. Aber weit gefehlt. Da wird ganz genau auf die Konstitution, die Doshas und die Gebrechen des Patienten eingegangen und auf Grund seiner Diagnose stellt Dr. Gopika das Essen zusammen. Wirklich fantastisch!

18. Mai 2000 / Die erste Massage im Geethanjali

Was wir bei der ersten Massage im Geethanjali erlebt haben, hat uns fast umgehauen! Einmal mehr sind wir überwältigt von Dr. Gopika und seinem Team. Also, was war genau los:

Um 05.00 Uhr war Tagwache und eine Stunde später fuhren wir zum Geethanjali Madom in Chit tattumukku. Von Haus zu Haus benötigen wir immer an die 45 Minuten und am Morgen früh hat es noch nicht so viel Verkehr. Wenn man den National Highway 47 vor Kazhakuttom verlässt, ist man innert 5 Minuten im Geethanjali. Wir wurden bereits erwartet und zuerst machte Dr. Gopika mit Hans eine eingehende Erstkonsultation. "Krankenblatt" erstellen, persönliche Daten notieren, Blutdruck messen, Gewichtskontrolle, Pulsdiagnose und persönliches Gespräch.

Inzwischen war im "Madom" (Behandlungsraum) alles vorbereitet für die Massage. Der Masseur (der Kathakali-Tänzer) hatte bereits das Deepam angezündet, es duftete nach Räucherstäbchen, das speziell für Hans präparierte Oel wurde gewärmt und ein Assistent stand zur Seite. Dr. Gopika war dabei und hatte die Oberaufsicht, während ich bei der Behandlung auch zuschauen durfte. Hans wurde ein "Lendenschürzchen" umgebunden, er setzte sich auf einen Hocker und die vier "Chakras" (auf dem Kopf, hinter den Ohren und am Hinterkopf am Anfang der Wirbelsäule) wurden mit einem speziellen Puder eingerieben. Dr. Gopika hatte für uns eine mit den Füssen gemachte Massage (Udwarthanam) verordnet und so legte sich Hans auf eine geflochtene Reisstroh-Matte auf den Boden. Ich dachte erst, dass das ziemlich unbequem sein muss (but very traditional), aber die Matte ist angenehm und man liegt ganz gut. Für mich natürlich bequemer als für Hans, weil er nicht mehr ganz so beweglich ist, aber das kriegen wir bei ihm auch wieder hin. Die Kniescheiben werden mit Stoffringen gepolstert, so dass keine Druckstellen entstehen. Und jetzt begann der Masseur mit seiner Arbeit. Während er sich mit den Händen an einer quer über dem Kopf befestigten Bambusstange festhielt, massierte er Hans mit den Füssen. Das war wirklich faszinierend zum zuschauen. Da sitzt jede Bewegung und jeder Druck. Der geübte Masseur muss 108 Punkte am Körper kennen, welche mit unterschiedlichem Druck behandelt werden - einfach fantastisch!


Anschliessend wurde Hans mit einer speziellen Paste aus verschiedenen Kräutern und Honig von Kopf bis Fuss eingerieben, er musste alles während ca. 15 Minuten einwirken lassen und später wurde er mit einer Mischung aus Paierpuder und Kräutern eingerieben, welche das überschüssige Oel löst jedoch die Nachwirkung nicht verhindert. Anschliessend wird man von Kopf bis Fuss mit warmem Kräuterwasser gewaschen. Man sitzt nur da und muss gar nichts machen - like a baby. Auch das gehört zur Behandlung. Anschliessend bekam Hans eine von Dr. Gopika zusammengemixte Medizin zu trinken während ich inzwischen das Frühstück serviert erhielt. Appam und Sambar (Reisfladen und Gemüsedurcheinander - sehr gut gekocht von Frau Gopika).

Hans war völlig begeistert von seiner Massage - er fühlte sich wie neu geboren und ich konnte es kaum erwarten, bis ich an der Reihe war. Er bekam "Canni" (Reis in Reiswasser) und Coconutchutney. Ich bin ja absolut kein Canni-Fan und Hans natürlich noch weniger, aber es hat ihm richtig geschmeckt und es war tatsächlich gut! Die Inder essen oft Canni - ein weisses Reisgeschlüdder, ohne Geschmack und trinken das mitgekochte Wasser. Es ist sehr gesund und magenberuhigend,.aber scheusslich im Geschmack. Doch Dr. Gopika hat erklärt, dass Canni nicht einfach Canni sei. Canni könne sehr geschmackvoll sein und für jeden Patienten werden die Gewürze und Kräuter individuell zusammengestellt. So schmeckte denn auch das Canni von Hans anders als meines.

Wir gingen beide auf die Dachterrasse, haben uns dort auf die bereitgestellten beqeumen Liegen gelegt und während wir uns ausruhten, wurde uns "Girawater" (warmes Kümmelwasser) serviert und frische Kokosnussmilch, welche Hans wieder etwas aufgeputscht hat, weil er am liebsten geschlafen hätte. Es ist immer sehr wichtig, dass man tagsüber sich zwar ausruht, aber nicht schläft, weil sonst der normale Rhythmus der drei Doshas gestört wird.

Und dann war ich an der Reihe. Konsultation beim Arzt. Auch wir haben ihm unser Geburtsdatum und die genaue Zeit angegeben für den Astrologen. Wir sind gespannt, wie dieser unsere Daten auswertet und was er uns daraus deuten kann. Ich habe Dr. Gopika die Hitzepickel an den Innenseiten der Ellbogen gezeigt. An den Armen schälte ich mich innert kürzester Zeit schon das zweite mal und die Haut war ganz dünn und sensibel. Dr. Gopika hat sofort sein "Kräutermannli" angewiesen, mir ein Pulver zu mischen, welches ich zu Hause anwenden musste. Jeden Abend eine halbe Stunde vor dem Duschen mixte ich das Puder mit Honig und strich die Stellen damit ein. Der Doktor versprach mir, dass spätestens nach einer Woche meine Haut wieder in Ordnung sei, doch nach zwei Tagen hatte ich bereits wieder eine glatte Haut! Wirklich unglaublich!

Inzwischen kam der Laborleiter, welcher ein medizinisches Labor führt mit einer Assistentin und nahm uns Blutproben ab. Hämoglobin, Zuckerwerte, und zwei andere Tests werden damit gemacht. Das gehört alles zur Erstkonsultation.

Die Masseusin und Assistentin kamen nun auch zu meiner Behandlung, doch die Fussmassage hat der Kathakali-Tänzer gemacht und die Masseusin hat assistiert. Dr. Gopika war dabei, Hans durfte zuschauen und auch Frau Gopika war da. Das tönt jetzt nach vielen Zuschauern, aber das gibt einem ein gutes Gefühl. Dr. Gopika hat es so erklärt: während der Massage ist der Patient dem Masseur ja völlig ausgeliefert, da er praktisch nackt unter ihm liegt. Um keinen Stress oder Frustration aufkommen zu lassen, ist es gut, wenn eine nahestehende Person des Patienten dabei ist und ihm das Gefühl vermittelt, nicht alleine zu sein. Und weil ich von einem Mann massiert wurde, sind auch absichtlich zu meinem Schutz einige Frauen anwesend. Eine liebe Bekannte in der Schweiz, welche Ayurvedakuren in Kerala anbietet, könnte da viele Geschichten erzählen, wo Frauen behauptet haben (zum Teil zu Recht - zum grösseren Teil zu Unrecht), wie sie von den Masseuren sexuell belästigt wurden.

Es herrschte eine gute Stimmung und der Masseur hat eine unheimliche Ausstrahlung. Nicht vom Aussehen her, aber man fühlt die Energie, die er einem weitergibt. Die heutige Massage dauerte nicht so lange, weil es die erste war. Man darf den Körper nicht überanstrengen und so wird von jetzt an die Dauer immer etwas erhöht. Ich wurde anschliessend mit der speziellen Hautpaste eingerieben und nachdem alles eingewirkt hatte, wurde ich von den beiden Frauen gewaschen.

Auch ich fühlte mich danach himmlisch wohl und ich bekam meine Portion Canni. Hat echt super geschmeckt und auch ich habe mir inzwischen angewöhnt, statt Käsebrötli oder Käse-Chappati mit Ei und Tomate eben Canni zum Znacht zu essen. Ich ruhte mich noch eine gute halbe Stunde aus. Wir wären auch noch zum Mittagessen eingeladen gewesen, doch inzwischen war es bald 14.00 Uhr und wir fuhren wieder heim.

Wir haben nun wirklich in den vier Jahren, seit wir hier sind, schon viele Ayurveda Massagen ausprobiert und glauben, beurteilen zu können, was einigermassen traditionell ist oder eben eher kommerzieller Abriss - aber so etwas wie heute haben wir noch nie erlebt. Das wäre im grossen Stil in einem Ayurveda-Resort auch gar nicht durchführbar - oder dann nicht mehr bezahlbar, weil der Patient hier wirklich der König ist und alles individuell für ihn zubereitet und voll auf ihn eingegangen wird. Dass man sich wie ein König fühlt, ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck - eher wie ein liebes Familienmitglied, auf das man sich freut, wenn es auf Besuch kommt. Ich hatte erst etwas Bedenken, dass man von der Familie "aufgefressen" wird, wie das hier so üblich ist und von den Indern als echte Gastfreundschaft verstanden wird, aber dem ist überhaupt nicht so. Sie sind immer für einem da, aber man wird nicht auf Schritt und Tritt verfolgt, man hat seine Privatsphäre, man wird auch in Ruhe gelassen, ohne sich ausgeschlossen zu fühlen, man fühlt sich richtig wohl und aufgehoben. Ein schönes Gefühl in einer familiären Atmosphäre. Am liebsten würde ich gleich eine ganze Kur dort machen!

25. Mai 2000 / Die zweite Massage im Geethanjali

Und gestern war schon wieder Donnerstag und wir freuten uns auf die Massage. Hier ein Ausschnitt aus dem Brief an meine Schwester, welche vor zwei Jahren schon eine Ayurvedakur in Thekkady machte und sich nun für eine Kur im Geethanjali interessiert:

Heute haben wir noch Folgendes erfahren: Nach jeder Behandlung wirst du mit Paierpuder und Kräuterwasser gewaschen - davon habe ich dir ja schon erzählt. Wichtig ist aber, dass keine Seife benützt wird, weil damit die medizinische Wirkung abgewaschen würde. Mit dem Paier wird das überschüssige Oel von der Haut entfernt, aber die einmassierten Stoffe unter der Haut wirken weiter. Auch die Haare dürfen nicht mit Shampoo gewaschen werden, weil du dich sonst erkälten könntest, wenn die Kopfhaut nicht mehr geschützt ist. Das heisst also im Klartext, dass du dich während der Kur weder mit Duschgel noch mit Shampoo waschen kannst. Das tönt jetzt vielleicht fürchterlich, aber Dr. Gopika besteht darauf. Nach der Wäsche fühlst du dich trotzdem sauber und man riecht das Oel überhaupt nicht mehr. Zudem gewöhnt man sich daran. Dafür bekommst du jeden Tag frische Bettwäsche und einen frischen Kaftan. Also: no shampoo - no soap - no body lotion - no creme - no parfume no nothing!

Und jetzt noch ein anderes Thema: das BETT!!! Wir haben uns heute ganz gründlich darüber unterhalten. Wir wussten bereits, dass sie für die beiden Patientenzimmer ganz spezielle Betten anfertigen lassen. Ein solches Bett kostet ca. CHF 1'800. Für hiesige Verhältnisse unsagbar teuer!!! Es erwartet dich aber weder ein Himmelbett, noch eine riesige King-Size-Liegewiese, kein Louis XV oder XVI (oder welcher Louis das auch immer sein mag)- Bett... Nein, es wird ein ganz einfaches Bettgestell sein aus speziellem Holz, welches eine medizinische Wirkung hat. Das Holz ist heutzutage sehr, sehr schwer aufzutreiben, deshalb der astronomische Preis. Aber was interessiert mich das Bettgestell, fragst du dich sicher... Warte. Auf das Gestell kommt nämlich keine weiche, ergonomische Bico-Matratze - nein, nur eine ca 3 cm dünne Matte aus einem speziellen Wurzelgeflecht. Das tönt im Moment furchtbar und erschreckend - mir erging es heute jedenfalls so. Das Bett ist noch nicht fertig und ich habe die Matte noch nicht gesehen, kenne aber das Material. Sicher wird es in den ersten Nächten gewöhnungsbedürftig sein. Hier sind sich die Leute gewohnt so hart zu schlafen, viele schlafen ja nur auf einer Reismatte auf dem nackten Betonboden, aber wir haben Dr. Gopika gesagt, dass sich die Europäer erst daran gewöhnen müssen und vielleicht werden sie für den einen oder anderen Patienten trotzdem eine richtige Matratze auf das Bett legen müssen .

1. Juni 2000 / Die dritte Massage im Geethanjali

Unsere dritte Massage im Geethanjali. Ich habe einen ganzen Film verknipst, da ich die ganze Anlage fotografiert habe. Die Wetterverhältnisse waren zwar zum Fotografieren nicht besonders ideal, weil es am Morgen früh noch geregnet hatte und es war noch ganz trüb und nass.

Unsere Massage war wieder ganz toll - wie immer. Während der Konsultation habe ich Dr. Gopika gesagt, dass ich mich nach der letzten Massage für ein paar Stunden so richtig schwer und kugelrund fühlte, wie wenn ich mich kaum mehr bewegen könnte und auf der Heimfahrt bekam ich Kopfschmerzen. Nicht heftig, aber weil ich das sonst nie habe, fiel es umsomehr auf. Er erklärte mir, das sei daher gekommen, weil ich letztes Mal eine längere und intensivere Massage gehabt hatte. Mein Blutdruck ist eher tief, aber immer normal und gleichmässig, doch nach der intensiven Massage sank er etwas und deshalb kam das Schwere- und Füllegefühl. Diesmal fühlte ich mich viel leichter und entspannt, bin weder müde noch schläfrig gewesen, sondern fit und munter und fühlte mich richtig wohl. Die Massage dauerte auch nicht so lange und war nicht so stark. Dafür verträgt Hans die intensive Massage sehr gut. Bei ihm spielt es auch keine Rolle, wenn der Blutdruck etwas fällt, obwohl er jetzt auch immer einen normalen und stabilen Blutdruck (140/80) hat. In der Schweiz stieg der obere Wert oft bis zu 200 aber nach kurzer Zeit hat sich der Druck hier in Kerala normalisiert. Dr. Gopika kontrolliert regelmässig Puls und Blutdruck.

Ich habe noch nie nach meinen Massagen so frappante Unterschiede gemerkt. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, was da alles im Körper abläuft, wie etwas in Gang gesetzt wird und wie der Körper darauf sofort reagiert. Wirklich unglaublich! Bis zu 12 Stunden danach wirkt die Massage weiter. Deshalb sollte man anschliessend auch keine grossen Sprünge mehr machen, auch nicht an die Sonne oder schwimmen gehen, weil das den Körper leicht überfordern könnte und vor allem die Wirkung der Behandlungen einschränkt..

Dr. Gopika meinte, er sähe bei mir bereits nach diesen drei Behandlungen eine positive Veränderung meiner Körperform. Nicht dass ich abgenommen hätte - ohje, ich habe die 70 kg Grenze erreicht, worüber ich gar nicht glücklich bin!!! Doch jetzt, wo wir zum Nachtessen auf Canni umstellen, hoffe ich doch, dass ich wieder einige Kilos los werde. Aber hier kümmert sich niemand um eine schlanke Figur. Füllig ist schön und gleichbedeutend mit reich, also streben alle dazu dick und weiss zu sein... Zudem passt ein Sari, ein Churydar oder ein Nighty immer - da zwickt es nie - wie soll man also merken, wenn man zu dick ist? Zudem ist das hier nie ein Thema.

Übrigens kann man das Canni wunderbar nach dem Rezept des Geethanjali machen. Es schmeckt sogar noch besser! Der Aufwand ist riesig - zuerst die richtigen Zutaten organisieren. Wir mussten heute extra einen Treeclimber herbestellen, der unsere Kokosnüsse von der Palme holte, weil man frisches Cocoswasser braucht. Dann die Vorbereitung der Gewürze - etwas muss am Vortag für einige Stunden in heissem Wasser quellen - etwas anderes wird über Nacht in kaltes Wasser eingelegt - wieder ein anderes Gewürz muss frisch sein und ein viertes getrocknet. Dann die genaue Dosis für alles finden, damit es schmeckt und zusammenpasst... Eine immense Arbeit für ein bisschen Reisgeschlabber!

Nach dieser dritten Behandlung im Geethanjali war es für uns klar, dass wir unsere wöchentlichen Ayurvedatage auch inskünftig hier und unter der Obhut von Dr. Gopika und seinem Team verbringen werden.

Varkala, im Juni 2000

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