Schriftenreihe Ayurveda

01 July 2006

Gedanken zu meiner Ayurveda-Philosophie

Einige von Euch haben mich gefragt, weshalb die crazy Müllers denn immer noch in Indien wohnen. Ich kann es Euch ganz einfach erklären: es ist unsere neue Heimat, wir lie­ben Kerala und diesen Ort, wir mögen die Leute hier und werden auch von den meisten voll akzeptiert. Wir gehören zu ihnen und werden nicht mehr einfach als weisse Touristen betrachtet. Wir respektieren die indische Kultur, Sitten und Gebräuche und werden mehr und mehr mit dem Leben und der Lebensart von Kerala vertraut. Wir sind glücklich hier und dank unseren wöchentlichen Ayurveda­behandlungen bleiben die drei Doshas mehr oder weniger im Gleichgewicht.

Womit ich elegant zum Thema Ayurveda und Geethanjali überwechseln kann. Wir sind je­des­mal noch mehr begeistert, wenn wir unsere Mittwoch-Massage ge­nossen ha­ben. Der Mittwoch ist für Yvonne und mich zum Ayurvedatag erklärt worden und sieht in etwa so aus: Tagwache 04.45 Uhr, kein Frühstück, 06.00 Uhr Ab­fahrt zum Geethanjali, 06.45 Ankunft daselbst, 07.00 nach einer kurzen Pooja Beginn der mit den Füssen ver­abreichten Reju­venation-Massage mit speziell für mich zu­sammenge­setzter und wech­selnder Oelmi­schung. Nach dreiviertel Stunden Mas­sage wird der ganze Körper mit einer Mi­schung aus Honig und verschiedenen Kräu­tern einge­rieben, 15 Minuten ruhen mit kurzer Meditation, dann gehts zum waschen, vorgängig wird der ganze Körper mit ei­ner Pu­dermasse aus Paier, Turmeric und verschiedenen Kräutern eingerieben und schlus­sendlich mit warmem Kräuterwasser gewaschen und abgetrocknet. Zum Schluss gibt es eine vom Doktor frisch zuberei­tete Medizin, welche je nach Zusammensetzung ange­nehm oder aber auch unange­nehm bitter mundet. So gegen 08.45 wird dann ins Haus hinüber disloziert wo frisch zube­reitetes heisses Canni (Reisgericht) mit Chamandi serviert wird. Anschlie­ssend verziehe ich mich auf die mit ei­nem Palmdach überdeckte Dachterrasse und lasse es mir wohl ergehen (literarisch müsste ich jetzt schreiben: die Seele baumeln lassen) oder lese die Zeitung oder in ei­nem Buch. Im Madom bekommt jetzt Yvonne ihre Massage und das vorher geschil­derte Prozedere wiederholt sich auch bei ihr. So gegen 12.00 Uhr fahren wir wieder nach Hause, um möglichst wenig bis gar nichts zu tun. Dieser wö­chentliche Ayurve­datag tut uns unendlich gut und wir möchten ihn nicht mehr missen.

Yvonne's Schwester Karin war nach einer Knieoperation drei Woche im Geethanjali zur Kur, d.h. sie wohnte auch dort und war sehr glücklich, zufrieden und von den erzielten Behandlungser­folgen be­geistert. Neben den therapeutischen Anwendungen durch Dr. Gopika und den Mas­seur oder die Masseuse genoss Karin am morgen und am Abend Yoga und Meditati­onsübungen mit dem hauseigenen Yogalehrer. Karin schätzte im Geethanjali ganz be­sonders die familiäre Atmosphäre, sie fühlte sich umsorgt aber dennoch nicht die ganze Zeit be­drängt. Sie genoss die Ruhe und sagte, dass sie die Zeit auch brauchte, um sich zu erho­len. Sie fand auch wieder ein­mal Zeit, um zu lesen und auf der Dach­terrasse liess es sich so wunder­schön den Gedanken nachhängen.

Vielleicht fragt ihr euch nun, was wohl in mich gefahren sei, dass ich so sehr vom Geethanjali schwärme. Ich versuche, es euch einigermassen zu erklären: wir ha­ben hier einen Ort und Menschen gefunden, welche auf ihre Weise eine positive En­ergie aus­strah­len, welcher man sich einfach nicht entziehen kann. Dr. Gopika ist für mich DER be­gnadete Ayurveda-Arzt, welcher kompromisslos der traditionellen ayurvedi­schen Philosophie nachlebt, wie sie in den Veden und den relativ spärlichen Unterlagen in Sanskrit und den umfangreicheren Schriften in malayalam verankert ist. Der grösste Teil sei­nes Wissens ist von seinen Vor­vätern übermittelt. Dazu kommen seine eige­nen Erkenntnisse aus dem Stu­dium und aus der langjährigen Erfahrung als prakti­zierender Ayurveda-Arzt. Als Hindu mit einer überaus hohen Ethik unterzieht er sich immer wieder dem Rat seines Astrologen. Er besucht und verrichtet seine Ge­bete in den Tempeln und in seinem Madom, verehrt aber auch Christus, weil er im Gegensatz zu den Tausenden von indischen Göttern der ein­zige sei, welcher alle Schulden und Leiden auf sich nehme, wogegen die indischen Göt­ter immer nur stra­fen. Er erzählt solche Erkenntnisse mit einer Selbstverständlich­keit, welche mich immer wieder erstaunt - und mich auch zum denken anregt. Der Hindu lebt echt mit seinen Göttern, sie sind für ihn allge­genwärtig und nicht nur Ge­schichte oder re­li­giöse Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dies zu verstehen braucht für mich noch lange Zeit und zeigt mir immer wieder auf, wie grundverschie­den die indische Kultur zur westlichen ist. Geethanjali ist für Yvonne und mich aber auch ein Hort der Ruhe geworden. Vielleicht tönt es unglaublich, aber man spürt förm­lich die hö­heren energetischen Schwingungen im Madom. Das Gefühl für Zeit und Raum ver­ändert sich zugunsten eines universalen Denkens.

Ich bin durch die Denk- und Lebensweise von Dr. Gopika zur Erkenntnis ge­langt, dass zwischen der gelebten ayurvedischen Philosophie und deren Heilmetho­den und den heute in den meisten der vielen Resorts und Massage-Instituten ange­boten Thera­pien Wel­ten liegen. Weshalb? Die Antwort ist ganz einfach: es ist das streben nach Geld. Was heute unter dem Begriff Ayurveda läuft, ist hier in Kerala an den meisten Orten kommerziell begründetes Entertainment mit wohltuender Wir­kung. Im Westen, wo es neuerdings unter der wohlklingenden Bezeichnung Well­ness an­geboten wird, ist es fast ausnahmslos Scharlatanerie. Ich weiss, meine Beur­teilung tönt hart, aber sie ent­spricht den Tatsachen.

Jetzt stellt sich zwangsläufig die Frage: wer kann es sich denn in der heutigen Zeit überhaupt leisten, Ayurveda in der wahren traditionellen Form zu vermitteln? So, wie ich es vorgän­gig beschrieben habe, gibt es viel zu wenig Geethanjalis oder Gopikas. Also muss mit einer Art Kompromiss versucht werden, Ayurveda kom­merziell zu vermit­teln. Das ist an und für sich nichts Unehrenhaftes, solange die Heilmethoden und die zur Anwendung gelangenden Zutaten der ayurvedischen Lehre entsprechen. Wenn aber der Kommerz als Mittel zum Zweck eingesetzt wird und die Gäste oder Patien­ten unter dem Missbrauch des Begriffes Ayurveda mit bil­li­gen Oelen durch mittel­mässig oder kaum ausgebildetes Personal zu übersetzten Preisen massiert werden, dann wird Ayurveda unglaubwürdig; es wird auf eine un­ter vielen anderen Massa­gemethoden herunterre­duziert. Das gilt in vermehrtem Masse auch dann, wenn cle­vere Ge­schäftsleute oder Hotelbesitzer sich indische Ayurveda-Aerzte und indisches Perso­nal nach Europa ho­len, um das Ayurveda-Angebot authentisch und traditionell er­scheinen zu lassen. Ja, mit der Gesundheit lässt es sich immer gute Geschäfte ma­chen und die Scharlatane vermehren sich im Handumdrehen. Und diejenigen, wel­che sich ehrlich bemühen, das ayurvedische Gedankengut zu vermitteln und echte Therapien anzubieten, die müssen ohnmächtig zusehen, wie sie von der Konkurrenz überrun­det werden, solange der Konsument noch nicht in der Lage ist, Vergleiche zwischen echt und unecht an­zustel­len.

Damit beende ich meine heutigen Gedanken zu Ayurveda und wünsche euch gute Ge­sundheit und Gelassenheit in eurem Alltag, begleitet von meinen besten Grüssen.

Hans Müller

1. Juli 2006

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